Call for Extended Abstracts
für die Jahrestagung 2021 der Sektion Organisationssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
„Große Herausforderungen“ und Organisationen: Themenfelder, Theorien und Methoden im Umbruch
Unsere Gesellschaft sieht sich derzeit mit „großen Herausforderungen“ konfrontiert – sog. „Grand Challenges“, wie Klimawandel, Digitalisierung, wachsende soziale Ungleichheit, Migration, demographischer Wandel, steigende Katastrophenrisiken, wirtschaftliche Verwerfungen, zunehmendem Populismus (Ferraro et al. 2015; George et al. 2016) und zuletzt eine weltweite Pandemie. Diese großen Herausforderungen gehen mit weitreichenden gesellschaftlichen Veränderungen einher, die enorme Komplexitäten und Unsicherheiten erzeugen. Diese Komplexitäten und Unsicherheiten werden insbesondere auch durch Organisationen bearbeitet, seien es Unternehmen, staatliche Einrichtungen, Verbände, Vereine, Gewerkschaften, Parteien, um nur einige zu nennen. Entsprechend wäre zu erwarten, dass die Organisationssoziologie einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte leisten kann. Tatsächlich steht aber die Organisationssoziologie derzeit selbst vor einer großen Herausforderung, nämlich klare empirische und theoretische Angebote zu erarbeiten, um die Herausforderungen der Gegenwartsgesellschaft zu adressieren.
Obwohl Organisationen eine hohe Bedeutung in aktuellen Umbruchprozessen zukommt, erscheint es für die Organisationsoziologie zunehmend schwerer die eigenen Konzepte anzuwenden und zu vermitteln. So verändert sich gerade im Kontext großer gesellschaftlicher Herausforderungen auch die Organisationslandschaft. Klassische Bürokratien und große Konzerne erodieren (Davis 2016), während es eine steigende Vielfalt neuer Organisationsformen zu geben scheint (Brés et al. 2018). Organisationen werden zunehmend als fluid, partiell, temporär, modular, latent, virtuell, holographisch, projekt-basiert oder entgrenzt beschrieben (Ahrne & Brunsson 2011; Brés et al. 2018; Dobusch & Schoeneborn 2015; Schreyögg & Sydow 2010; Starkey et al. 2000). Kernkonzepte wie Bürokratie, Formalität, Zweckorientierung, Mitgliedschaft und Hierarchie büßen anscheinend an Erklärungskraft ein und stellen die existierenden Organisationstheorien selbst vor eine große Herausforderung (Barley 2016; Brés et al. 2018; Davis 2015).
Glaubt man den Selbstdiagnosen der Sub-Disziplin, dann befindet sich die Organisationssoziologie in einem Umbruch, möglicherweise sogar in einer Krise (Adler et al. 2014; Apelt et al. 2017; Gorman 2014; Grothe-Hammer & Kohl 2020; King 2017). Mit dem vermehrten Aufkommen neuer Organisationsformen scheint immer unklarer zu werden, was Organisationen eigentlich (noch) sind, welchen Beitrag sie leisten und wie man sie konzeptionell fassen kann, sodass etablierte Theorien immer seltener explizit für empirische Untersuchungen herangezogen werden (Barley 2016; Brés et al. 2018; Davis 2015; Wolff 2015). Trotz der offensichtlichen alltäglichen Bedeutung von Organisationen im Umgang mit großen gesellschaftlichen Herausforderungen, scheinen sich immer weniger Soziologen und paradoxerweise auch Organisationsforscher für Organisationen als Untersuchungsgegenstand zu interessieren (Ahrne et al. 2016; Lopdrup-Hjorth 2015). Mehr noch hat die methodologische, theoretische und thematische Varietät innerhalb der Organisationssoziologie zumindest im englischsprachigen Raum dramatisch abgenommen (Grothe-Hammer & Kohl 2020).
Nichtsdestotrotz gibt es mittlerweile einige Vorschläge, die versuchen die Organisationssoziologie insbesondere konzeptionell zu revitalisieren. Dies geschieht beispielsweise unter Begriffen wie „partial organization“ (Ahrne & Brunsson 2011), „communicative constitution of organization” (CCO) (Schoeneborn et al. 2014), „organization as process“ (Czarniawska, 2015; Hernes, 2014), „Organisation als transitorisches Gebilde“ (Häußling 2015), “Organisation als reflexive Strukturation” (Ortmann et al. 2000; Sydow & Wirth 2014) oder “degrees of organizationality” (Dobusch & Schoeneborn 2015; Kirchner 2019). Diese Vorschläge werden zwar häufig intensiv diskutiert, lösen allerdings oft heftige Kritik aus und erreichen teils nur begrenzt Anschluss (Apelt et al. 2017). Mit diesen Beispielen deutet sich an, dass diese und andere Ansatzpunkte, für eine allgemeine Diskussion um die Konzepte der Organisationssoziologie, aufgegriffen und kontrovers diskutiert werden.
Die Jahrestagung der Sektion Organisationssoziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie möchte daher Themenfelder, Theorien und Methoden der Organisationssoziologie im Kontext von großen Herausforderungen diskutieren. Wir freuen uns insbesondere auf Beiträge, die sich mit den folgenden Fragen befassen:
- Was kann die Organisationssoziologie zu der Erforschung von und den Umgang mit großen Herausforderungen beitragen?
- Brauchen wir neue Theorien der Organisation um derzeitigen gesellschaftlichen Herausforderungen und/oder neuen Formen der Organisation gerecht zu werden?
- Gibt es bestehende Theorieangebote, auf die man sich rückbesinnen sollte und wie lassen diese sich weiterentwickeln, um einen aktuellen Beitrag zu leisten?
- Braucht die Organisationssoziologie neue Methoden um aktuellen Themenfeldern und neuen Organisationsformen sowie Organisationstheorien gerecht zu werden?
Wir freuen uns über Einreichungen von Abstracts bis zum 15.02.2021. Das Extended Abstracts (3-4 Seiten) senden Sie bitte an orgsoztagung@gmail.com. Die eingereichten Beiträge können dabei konzeptioneller, empirischer oder methodologischer Art sein. Die Benachrichtigung über die Annahme des Beitrags erfolgt voraussichtlich bis Anfang März 2021.
Die Jahresstagung der Sektion Organisationssoziologie wird am 10./11.06.2021 online stattfinden. Bei Fragen wenden Sie sich jederzeit an die Tagungs-Organisatoren Michael Grothe-Hammer (michael.grothe-hammer@ntnu.no) und Stefan Kirchner (stefan.kirchner@tu-berlin.de).
Wir freuen uns auf Ihre Beiträge!
Mit freundlichen Grüßen,
Michael Grothe-Hammer & Stefan Kirchner
www.organisations-soziologie.de